Auf Schein selbständig sein
Gelebte Praxis im IT-Projekt


Scheinselbständigkeit & illegale ANÜ
sind die wichtigsten Themen der Projektwirtschaft

Am Samstag, den 01. April 2017 wurde ein neues Gesetz im Bürgerlichen Gesetzbuch aktiviert. Der § 611a BGB erfasst das Thema Scheinselbstständigkeit, welches die projektgebundene Handlungs- und Geschäftsfähigkeit des Freelancers / Freiberuflers, sowie dessen Vermittlungspartner (Agenturen) und Endkunden fortan maßgeblich verändern könnte. Es geht um die Frage, ob Projektvakanzen z. B. aus der IT heute und zukünftig nach gängigem Verfahren besetzt werden können, ohne rechtliche und steuerliche Kollisionen zu erleiden. Wer aber bekommt Schwierigkeiten mit diesem Gesetz?

Lesezeit: etwa 9 Minuten

Ist die Scheinselbständigkeit harmlos?

Unter Freiberuflern, Vermittlern und Kunden vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über die Scheinselbständigkeit philosophiert wird - mal mehr, mal weniger. Wir bei frisco-freelancer.de nehmen wahr, dass Auftraggeber, Dienstleister und Auftragnehmer bedrohliche Informationslücken aufzeigen und

a) sich zu wenig mit diesem Thema auseinandersetzen und
b) mit gefährlichem Halbwissen jonglieren und
c) die Scheinselbständigkeitsregelung häufig verharmlosen.

Wir müssen an dieser Stelle Klartext sprechen, denn das Schönreden findet zum 01. April 2017 ein Ende. Dies ist mit Erlaub KEIN Aprilscherz. Zunächst stellen wir die Frage, ob diese lästige „Angelegenheit der Scheinselbständigkeit“ tatsächlich von Bedeutung ist oder wie mit dem Thema verfahren werden kann. Das heißt, die Scheinselbständigkeitsfrage auch in 2017 als unterhaltsamen Gesprächsstoff abwerten, und hoffen, dass sich das Thema von selbst erledigt.

Wir betonen: Seitdem zweiten Quartal 2017 weht ein anderer Wind. Anders als die Vermutung zulässt, hat der Scheinselbständigkeitsparagraph 611a BGB eine mehrjährige Vorgeschichte, mit vielen Anläufen, Anträgen und Korrekturen. Genau jetzt erlangt das Gesetz eine höhere Reifestufe. Bedauerlicherweise wird sich genau diese Akte nicht zu Gunsten der Projektbeteiligten (Projektgeber, Vermittlungsagentur, Projektteilnehmer) schließen. Vielmehr kann sie eine bedrohliche Tragweite für den gesamten Projektmarkt einnehmen und das gelebte Tätigkeitsbild des Freiberuflers, des Selbständigen und des Auftragspartners (Kunde und Agentur) verändern.

Es ist faktisch falsch zu behaupten, dass diese juristische Welle die Freiberuflerindustrie von jetzt auf gleich trifft. Korrekt hingegen ist, dass die Marktteilnehmer im Falle der "behördlichen Entdeckung" die voller juristische Härte erfahren. Kompromisse und Spielraum für Nachverhandlungen wird es kaum geben. Genau jetzt, zum 1. April 2017 ändert sich die Lage für alle Stakeholder aus dem Contracting-Umfeld (Projektgeschäft). Wir sprechen hier nicht mehr von einem Entwurf, sondern über das Inkrafttreten eines beschlossenen Gesetzes im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB).

frisco-freelancer-gehaltsrechner

Der § 611a BGB definiert den Begriff des Arbeitnehmers. Wer also ist von gesetzes wegen Arbeitnehmer und wer nicht? Hierzu das Gesetz: "Wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist, diese Person ist Arbeitnehmer." Und wenn es schon mal um diese Frage geht, so kommen wir ohne Umwege zum eigentlichen Anliegen:

Welcher Freelancer/Freiberufler verliert für die Projektbeauftragung den Status des Selbständigen und wird unweigerlich zu einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer? Wer muss die gesetzlichen Abgaben zur Rentenversicherung und Lohnsteuer abführen? Wer muss Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung übernehmen? Diese Fragen sind nicht etwa trivial, sie sind faktisch ein Killer.

Ist die in den Fokus geratene Person auf Basis des modifizierten BGB-Paragraphen ein Arbeitnehmer, so müssen für die relevanten Beschäftigungszeiträume alle Sozialversicherungsabgaben abgeführt werden. Agenturen und Projektauftraggeber wandeln sich somit in Echtzeit in Arbeitgeber-Konstrukte und sind zur Zahlung der Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung verpflichtet. Was bedeutet das?

Wie teuer ist die Scheinselbständigkeit?

Der gesetzliche Beitrag zur Rentenversicherung beträgt in 2017 insgesamt 18,7%. Projektgeber (Arbeitgeber) und Projektnehmer (Arbeitnehmer) zahlen jeweils 9,35% bis zur Grenze der Beitragsbemessung, in Höhe von 76.200,- Euro p.a. (im Westen). Dieser Betrag entspricht einem monatlichen Gehalt von 6.350,- Euro.

Konsequenzen für den "Arbeitnehmer"
Nehmen wir an, dass ein IT-Freelancer im Monat für 144 Stunden / 18 Tage in ein Projekt geht, so sprechen wir unter Einbezug der Auslastung und Beitragsbemessungsgrenze von einem Break-Even in Höhe von 44,10 Euro pro Stunde. Das marktübliche Honorar für IT-Fachkräfte liegt im Mittel bei etwa 80,- Euro die Stunde.

Mit dieser Darstellung wird deutlich, dass beauftragte IT-Experten die monatliche Beitragsbemessungsgrenze in Höhe von 6.350,- Euro bereits mit einem unterdurchschnittlichen Stundensatz deutlich überschreiten. Wird also der Status des Freelancers in den eines Arbeitnehmers gewandelt, so hat dieser in etwa 700,- Euro für die nächsten drei Monate der Beauftragung zu entrichten. Innerhalb von drei Monaten summieren sich die Beträge auf circa 2.100,- Euro. Hinzukommen mögliche Strafzahlung, Verfahrenskosten usw..

Wir weisen darauf hin, dass diese Kalkulation keine Beiträge zur Krankenversicherung oder Pflegeversicherung beinhaltet. Dennoch liefern wir die Infos: Arbeitnehmer und Arbeitgeber tragen jeweils weitere 7% an der gesetzlichen Krankenversicherung. Für die Pflegeversicherung kommen ebenfalls 1,275% für beide Parteien (AG und AN) hinzu. Leider endet die Kostenfalle an dieser Stelle nicht.

Gut- oder Spitzenverdiener müssen 42% ihres Gehaltes und in Sonderfällen auch mehr abführen, so das Gesetz. Wird dem Selbständigen überwiegend nicht selbständige Tätigkeit unterstellt, so fällt unter Umständen das gesamte Betriebsergebnis in den Steuer- und Beitragsfokus. Die Konsequenzen könnten durchaus bis zum finanziellen Ruin führen, was bei einem Solo-Unternehmer nicht unbedingt abwegig ist.

Wurde der Freelancer per Beschluss (Aberkennung des Status) zum Arbeitnehmer gewandelt, so kann dieser Umstand ebenfalls erhöhte Strafzahlungen in den Raum stellen. Hier geht es um 1% der relevanten Bruttosummen. Leider dreht sich das Kostenrad weiter und hebt den Schadenswert um zusätzliche Geldaufwände für Steuer-, Rechts-, und Verfahrenskosten (optional, z.B. für Stellungnahmen, Einsprüche, kalulatorische Gegendarstellungen, Rechtstreitigkeiten etc.) deutlich an. Im Zuge einer Statusänderung entstehen zusätzliche Aufwände für den Vorgang der Rückabwicklung. Dieser Faktor ist sensibel und wird zu einem späteren Zeitpunkt aufgearbeitet. Noch bevor es zu einem Eklat kommt empfehlen wir zu prüfen, ob bestehende Rechtschutzversicherungen im Falle von vertragsrechtlichen Streitfragen eine Kostendeckung zusagen.

Konsequenzen für den "Arbeitgeber"
Für Projektauftraggeber und Agenturen kommt es wesentlich härter als für den Freelancer. Für sie dehnt sich der Bemessungszeitraum rückwirkend auf vier Jahre aus. Auf Basis unserer obigen Rechnung fallen für jeden ermittelten Freelancerfall und jeden Kalendermonat die Summe von 1.400 Euro für Lohn- und Rentenbeitragsrückzahlungen an. Und damit nicht genug. Die ermittelte Summe wird in der Regel sogar auf einen Schlag und unmittelbar nach Feststellung fällig.

Ferner werden Nachzahlungen mit einem zusätzlichen Prozentpunkt (1%) abgestraft. Dieser Säumniszuschlag wird für jeden Monat aller Ansprüche angesetzt, und zwar auf die Bruttorechnungssumme. So laufen beträchtliche Summen zusätzlich auf. Wird der Geschäftsführung Vorsatz nachgewiesen, können durch das Finanzamt Regressansprüche auf bis zu zehn Jahre gestellt werden. Damit auch die Rentenversicherung nicht leer ausgeht, kann der Ermessenszeitraum tatsächlich bis auf 30 Jahre gestreckt werden. Besonders schwere Fälle des Missbrauchs können mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden. In jedem Fall werden Gesetzesverstöße dieser Art mit aller Schärfe verfolgt.

Darüber hinaus stehen Aufwände für die Rückabwicklung durch den Arbeitgeber im Raum. Dieses Kapitel befindet sich im Aufbau.



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Sind Projektverträge bedeutungslos?

Wurde Scheinselbständigkeit attestiert, formiert sich dieser zu einem folgenschweren Bumerang für alle Beteiligten und ganz besonders für den Projektkunden. Der § 611a BGB ist ein brandneues Gesetz und führt dazu, dass der gelebte Vermittlungs- und Arbeitsprozess innerhalb der Projektbeauftragung die schriftlichen Vereinbarungen abschwächen, bzw. völlig entkräftigen kann . In anderen Worten: Sie können ein vertragliches Meisterwerk für teures Geld aufsetzen lassen und dennoch wird ihnen keine Rechtssicherheit garantiert. Fernab schriftlicher Vereinbarungen stellt sich die Frage: Wie genau wurde die Tätigkeit des Mitarbeiters / externen Mitarbeiters erbracht? Wie wurde die Praxis in Detail gelebt? An dieser Stelle wird das Eis sehr, sehr dünn für den Kunden, für den Lieferanten und für den Externen.

Wir haben einen Katalog mit mehr als 50 Fragen entworfen, der aus unserer Sicht die Scheinselbständigkeitsfrage kritisch beäugt und allen Projekt-Stakeholdern eine Richtung aufzeigt:

  1. Wie wurden die Leistungen des Freelancers in der Praxis tatsächlich erbracht/gelebt?
  2. Wer bestimmt die Arbeitszeiten und gibt es Einsatzpläne?
  3. Wer erstellt und verteilt die zu erledigenden Aufgaben?
  4. Sind diese Aufgaben mit Ergebnissen verbunden?
  5. Gibt es ein Reporting und an wen werden die Ergebnisse präsentiert, übergeben, berichtet?
  6. Ist der Freelancer persönlich vor Ort im Projekt?
  7. Darf der Freelancer während des laufenden Projektes andere Projekte und/oder Kunden bedienen und kann er sie zeitlich und räumlich überhaupt abbilden?
  8. Unterscheiden sich die Aufgaben des Auftragnehmers von den übrigen Mitarbeitern?
  9. Sieht der Dienstleister für eine Beauftragung einen Projekt- oder Kundenschutz vor?
  10. Ist der Freelancer in die Projektablauforganisation eingebettet oder im Arbeitsprozess integriert?
  11. Interagiert der Freelancer persönlich mit internen Mitarbeitern des Kunden?
  12. Wer nimmt die geleistete Arbeit im Projekt ab bzw. wer lehnt den Erfolg der Tätigkeiten ab?
  13. Wie werden die Anforderungen übermittelt und wird ein Ergebnis erwartet?
  14. Wann gilt die geleistete Arbeit als abgeschlossen?
  15. Gibt es eine laufende Projektorganisation und welche Rolle hat der Auftragnehmer?
  16. Gibt es Mitarbeiter- oder Firmenveranstaltungen an denen der Freelancer teilnimmt?
  17. Gibt es Einzelbesprechungen oder Teambesprechungen für Teil-, Zwischen- oder Gesamtergebnisse?
  18. Gibt es Meetings zur Projektsteuerung / Projektlenkung?
  19. Gibt es Statusbesprechungen und wer nimmt teil?
  20. Gibt es Eskalationsmeetings und wer ist zur Teilnahme verpflichtet?
  21. Gibt es eine mündliche oder schriftliche Berichterstattung und übermittelt der Freelancer Reports?
  22. Gibt es Telefonkonferenzen zweckst Statusermittlungen oder Störungsbehandlung?
  23. Wird ein Ticketsystem eingesetzt für Anforderungen und Änderungen?
  24. Wie erfolgt die Qualitätssicherung z. B. für Softwaresysteme?
  25. Welche Software wird für Information und Kommunikation eingesetzt?
  26. Welche Tools für Projektmanagement und zur Qualitätssicherung werden genutzt?
  27. Wer erteilt direkte Weisungen an den Freelancer und in welcher Form?
  28. Wer verteilt, kommuniziert, überwacht und steuert die Aufgaben / Arbeitspaket im Projekt?
  29. Wer beantwortet Fragen des Freelancers und wie wird mit Störungen umgegangen?
  30. Wer nimmt neue, erweiterte oder optimierte Anforderungen auf oder entgegen und wie werden die Änderungen/Anpassungen (Changes) dem Freelancer übergeben?
  31. Was ist die Grundlage für die Abrechnung geleisteter Arbeit und wie wird diese Leistung gemessen?
  32. Bedarf es beim Zeitnachweis der Freigabe durch eine Person aus dem Kunden- und Projektumfeld?
  33. Wer bestätigt die geleistete Tätigkeit?
  34. Bildet der bestätigte Zeitnachweis / Timesheet die Rechnungsgrundlage?
  35. Wer genau rechnet ab und welche Belege werden in welcher Form eingereicht?
  36. Stützt sich das Projekt auf Best Practices oder Projekt Management Methoden?
  37. Wird agiles Projektmanagement angesetzt und ?
  38. Werden Arbeitsmittel zur Durchführung der Tätigkeiten bereitgestellt?
  39. Hat der Freelancer Zugang zu sensiblen Daten und Informationen?
  40. Wird innerhalb einer speziellen Infrastruktur, u.a. mit speziellen Softwaresystemen gearbeitet?
  41. Werden Freigaben und Passwörter für Logins benutzt?
  42. Wird Compliance konform (SOX, Basel III, etc.) gearbeitet?
  43. Wie erfolgt die Kommunikation im Projekt und welche methodischen und technischen Werkzeuge werden dafür genutzt?
  44. Welche Tools werden durch den Auftraggeber bereitgestellt?
  45. Gibt es vergleichbare Kompetenzen vor Ort im Projekt und sind diese Personen feste oder freie Mitarbeiter?
  46. Gibt es Parkplätze die der Freelancer benutzen darf?
  47. Wie erfolgt der Zutritt zur Leistungsstätte, darf jede Person eintreten?
  48. Gibt es vor Ort eine Toilette oder eine Küche und darf der Freelancer diese nutzen und sich wie die übrigen Mitarbeiter frei bewegen und bedienen (z.B. Kaffee und Snacks in einer gemeinsamen Küche)?
  49. Wann, wo und mit wem geht der Freelancer zu Tisch?
  50. Gibt es eine Kantine und erhält der Freelancer die gleiche Behandlung wie andere Kollegen?
  51. Fühlt sich der Freelancer als Teil der Organisation, oder gar als Teil der Belegschaft?
  52. Hat der Freelancer wie die übrigen Personen eine individuelle Kleidung zu tragen?
  53. Hat der Auftragnehmer eine eigene Betriebsorganisation und ein eigenes Büro, welches er betreibt?
  54. Welche Betriebsmittel nutzt der Freelancer im Projekt und verfügt er über eigene Betriebsmittel für andere Beauftragungen?
  55. Betreibt der Freelancer Aufwände zur Kundengewinnung und wird Werbung für das eigene Business getätigt?

Die obige Checkliste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und liefert unserer Meinung nach Indizien für eine "qualifizierte" Beurteilung der Sachlage durch den DRV-Prüfer. Das Gesetz stützt sich auf keinen festen Kriterienkatalog. Die Bewertung der Sachlage erfasst die Gesamtheit aller Umstände jedes Einzelfalls und beleuchtet die vertragliche Ausgestaltung der Projektbeauftragung, sowie die tatsächlich gelebte Praxis vom Kundenunternehmen bis zur eingesetzten Personalressource. Fünfzig Fragen ermöglicht ein Kreuzfeuer aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Entscheidungstendenz der Ämter bewegt sich primär in Richtung steuerpflichtige Angestellte, erklärt sich von selber...

Gibt es Tücken zur Statusprüfung?

Möchte man vehement am alten Modell der Projektbesetzung z.B. durch IT-Freiberufler festhalten und alle Warnzeichen ignorieren, so ist formalrechtlich eine Statusprüfung zwingend erforderlich. Lediglich eine Statusfeststellung ist rechtlich bindend.

Das Feststellungsverfahren leitet man schriftlich über die zuständige Clearingstelle beim DRV ein. Die erforderlichen Formulare sind V0027 und C0031. Es gilt zu beachten, dass das Antragsbündel weitere Dokumente umfasst. Diese Art der Anträge sind umfassend und tragen immer das Merkmal der „Einmaligkeit“. Steht der Freelancer mit einer Statusbefreiung im Projekt, so gilt dies nicht für Weiterbeauftragungen. Jede Weiterbeauftragung ist formalrechtlich ein "neuer" Auftrag, der grundsätzlich vom DRV vollumpfänglich durchgeprüft werden muss. Daher ist dieses Antragsmodell mehr oder weniger effizient, aber eindeutig zeit- und ressourcenintensiv. Der administrative Aufwand ist hoch, da ein einzelner Antragsvorgang diverse Formulare und zusätzliche Dokumente umfasst. Der Bund richtet zur Bearbeitung eines jeden Vorgangs bis zu drei Monate ein, wobei die Praxis auf bis zu sechs Monate verweist. Das Ergebnis wird schriftlich mitgeteilt.

Inzwischen wird für jeden zweiten Statusermittlungsfall eine Scheinselbständigkeit festgestellt. Alternative Formulierung: Bereits heute lehnt der Rentenbund DRV 50% der Anträge auf Befreiung ab. Vor etwa 10 Jahren waren es lediglich 20% der Gesuche. Sich diesem Instrument zu bedienen um rechtskonform zu Wirtschaften ist grundsätzlich der korrekte Weg, gäbe es da nicht den Umstand des „Bekanntseins“. Was heißt das? Das Antragsbündel umfasst eine Masse von Informationen. Vor allem aber der Namen des Auftraggebers und der des Auftragnehmers werden aktenkundig.

Und wer einmal aktenkundig wurde, der verschwindet in dieser finanzbehördlichen Blackbox. Wir distanzieren uns an dieser Stelle von alternativen Fakten und postfaktischen Statements. Alle Parteien des Projektes dürfen Anträge auf Befreiung einreichen. Das wiederum kann bedeuten, dass vor allem das Kundenunternehmen (AG) mehr oder weniger überraschend in den Sog der Ermittlungen gelangt und den Prüfern auf einem silbernen Tablett präsentiert wird. Wer rechtlich gesehen einen „Steuersünder“ beauftragt, der hat vermutlich über die Jahre hinweg weit mehr Angriffsflächen aufgebaut.


Wie bereits erwähnt fallen Entscheidungen tendenziell gegen den Status des Selbständigen. In 2015 führte der DRV (Deutsche Rentenversicherung Bund) etwa 120.000 Statusprüfungen durch. Davon gingen etwa 80.000 Prüfszenarien auf das Konto der Freelancergestaltung.

Warum immer wieder das Thema Scheinselbständigkeit?

Die Probleme der Zukunft sind bekannt. Die Gesellschaft in Deutschland erlebt, im Übrigen seit (weit) mehr als einem Jahrzehnt arbeitskulturelle Wandelprozesse. Der Arbeitnehmermarkt verändert sich und die Bevölkerung wird älter. Dem gegenüber stehen sinkende Einnahmen für die Rentenkasse und steigende Rentenansprüche. Dieses Missverhältnis ist schlicht ungesund und fordert "innovative" Lösungen, die unser Steuer- und Sozialsystem stabilisieren und allen Bürgern u.a. eine solide Rente zuführen.

Etwa 10% aller Beschäftigten in Deutschland üben eine unabhängige Beschäftigung aus. Dies entspricht weit mehr als vier Millionen Freelancer. Mit einhunderttausend Solo-Köpfen stellt der IT Projekt- und Freelancermarkt lediglich ein Fragment der Freelancerindustrie dar und gehört dennoch zu den bedeutendsten Märkten in Deutschland. Diese "winzige" Anzahl von 100.000 Personen knackte 2017 erstmals die symbolische Marke von 10 Milliarden Euro.

Nur für das IT-Freelancing stehen zig Milliarden Steuer- und Beitragszahlungen im Raum, die bislang renten- und sozialversicherungstechnisch geringfügig erfasst werden.

Bei einem Rentenbeitrag in Höhe von 18,7% entgehen den Sozialkassen für den IT-Freelancer Markt jedes Jahr sage und schreibe 1,87 Milliarden Euro. Wir möchten diese Zahl gerne ausschreiben: 1.870.000.000 Euro. Bei einer Durchschnittsrente in Höhe von 1.301,- Euro (im Westen) können somit bereits heute 1.437.356 Rentenmonate finanziert und gesichert werden. Was heißt das? Der Staat kann für weitere 119.780 Menschen in Deutschland eine monatliche Rente in Höhe von etwa 1.301 Euro sicherstellen. Zusätzlich werden jährlich mehr als 56 Millionen Euro in die Arbeitslosenkasse gespült. Diese Darstellung ist nur ein Auszug des vorherrschenden Potentials.

Wir stellen folgende Frage in den Raum: Wie wahrscheinlich ist das Fortbestehen des klassischen Projektmodells für die Beauftragung von selbständigen IT-Freelancern, wenn seit 01. April 2017 das neue "Scheinselbständigkeitsgesetz" greift und die Sozial- und Rentenkassen „leerzulaufen drohen“, obwohl hierzulande zig Milliarden schwere Geldquellen vor den Staatsfüssen liegen? Die Relevanz dieser Frage darf jeder für sich gewischten.


Abgesehen von der DRV (Deutsche Rentenversicherung Bund) haben zwei weitere Behörden in Deutschland ein großes Interesse Scheinselbständigkeit zu identifizieren und jene "Versicherungs- und Steuerbetrüger" zu überführen. Hier die Drei Behörden: DRV für Sozialversicherungsbeiträge, das Finanzamt für Lohnsteuer und Umsatzsteuer und der Zoll für die Schwarzarbeit.

Durch die Inkraftsetzung des neues 611a haben wir große Bedenken an der Fortführung traditioneller Liefer- und Leistungsmodelle für IT-Projekte, welche durch den Einsatz externer Fachkräfte gestafft werden. Eine Außerkraftsetzung des Gesetzes scheint ebenfalls unwahrscheinlich. Ob das traditionelle Agentur- und Vermittlungsgeschäft (IT-Projekte & IT-Freelancer) nach klassischem Verfahren weitergeführt wird, darf eideutig bezweifelt werden.

Weiterhin verliert die praktizierte Fallschirmlösung / Vorratserlaubnis zur Vermeidung verdeckter Arbeitnehmerüberlassung (illegale ANÜ) ebenfalls seit April 2017 ihre volle Wirkung. Unternehmen, die ihre Augen verschließen und den Kopf in den Sand stecken, stehen einem monetären Tsunami entgegen. Der Fachkräftemangel lässt sich nicht durch juristisch unsaubere Lösungen abfangen. Stakeholder aus dem Projektumfeld müssen auf rechtskonforme und nachhaltige Sourcing-Strategien aufsetzen.

Wie lautet der § 611a BGB ganz genau?

Der genaue Wortlaut des neuen § 611a BGB lautet als Zitat wie folgt:

(1) Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.

(2) Der Arbeitgeber ist zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.

Stand: 05. April / 17:04 Uhr (dejure)
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Letztes Update: 05.07.2017
Publisher: frisco-freelancer.de

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