Scheinselbständigkeit
Rechtsanwalt spricht Klartext


Projekte, Kunden und die Gefahren der Scheinselbstständigkeit mit Freiberuflern

Großes Interview: Dieses Topic scheint so alt wie die Galaxy, so das Echo in der Branche. Scheinselbstständigkeit, eine never ending storry... Tatsächlich ist es ein altes Eisen, dass jedoch erst seit etwa einem Jahr richig heiß wurde. Warum? Das erfahren sie in diesem Interview mit einem ausgewiesenen Spezialisten und Rechtsanwalt für Fragen zur Scheinselbständigkeit:

Frage & Antwort: 1

Herr Gahle, vielleicht stellen Sie sich zunächst kurz vor

RA Gahle: Ich bin Rechtsanwalt und Partner der wirtschaftsrechtlich ausgerichteten Sozietät Eggesiecker und Partner in Köln. Das Thema Scheinselbständigkeit begleitet mich bereits seit vielen Jahren. Dementsprechend verfüge ich über ausgeprägte Praxiserfahrungen im Umgang mit der Problematik. Eine umfangreiche deutschlandweite Referententätigkeit und verschiedene Publikationen in diesem Bereich runden mein Profil ab.

Frage & Antwort: 2

Können Sie die Problematik der Scheinselbstständigkeit kurz auf den Punkt bringen?

RA Gahle: Der Begriff Scheinselbständigkeit bezeichnet ein verdecktes Arbeitsverhältnis. Nach außen wird also eine selbständige Kooperation, z. B. auf der Grundlage eines Dienst- oder Werkvertrages, dargestellt. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich dieses Konstrukt allerdings als waschechtes Arbeitsverhältnis.

Frage & Antwort: 3

Kommt dieses Phänomen nur im Zweipersonenverhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer vor?

RA Gahle: Diese Situation bildet sicherlich einen zentralen Bereich. Allerdings ist die Problematik hierauf nicht beschränkt. Scheinselbständigkeit kommt auch häufig in Konstellationen vor, in denen sich ein Auftraggeber (z. B. Beratungsgesellschaft, Vermittlungsagentur) eines Auftragnehmers (z. B. Freelancer) zur Erfüllung von vertraglichen Verpflichtungen gegenüber seinen Projektkunden bedient und der Auftragnehmer dann beim Kunden vergleichbar mit einem überlassenen Arbeitnehmer eingesetzt wird. In diesen Fällen spricht man auch gerne von verdeckter Arbeitnehmerüberlassung.

Frage & Antwort: 4

Das Thema Scheinselbständigkeit ist aber doch nicht neu, warum hat es denn aktuell solche Brisanz?

RA Gahle: Das liegt an den zum 1. April 2017 in Kraft getretenen gesetzlichen Änderungen. Der Gesetzgeber hat mit § 611 a BGB erstmals den Arbeitnehmerbegriff in Abgrenzung zur Zusammenarbeit auf selbständiger Grundlage legaldefiniert und durch das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zusätzliche erhebliche Risiken für Kunden des Auftraggebers bei verdeckter Arbeitnehmerüberlassung geschaffen.

Frage & Antwort: 5

Können Sie diese Risiken für die Beteiligten grob zusammenfassen?

RA Gahle: Stellen Sie sich vor, ein Dienst- oder Werkvertragskonstrukt zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer (z. B. Freelancer) wird nachträglich als Scheinselbständigkeit beurteilt. Dann besteht zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer ein Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten. Darüber hinaus muss der Auftraggeber mit unter Umständen existenzvernichtenden Nachzahlungen zur Sozialversicherung rechnen. Schließlich läuft er Gefahr, dass die Fehlbehandlung auch noch erhebliche bußgeldrechtliche oder im schlimmsten Fall sogar strafrechtliche Sanktionen nach sich zieht. Im Fall der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung ist diesen Risiken nach neuem Recht auch der Kunde des Auftraggebers ausgesetzt, obwohl er überhaupt kein Vertragsverhältnis mit dem Scheinselbständigen eingegangen ist.

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Frage & Antwort: 6

Aber was, wenn der konkrete Fall noch gar nicht von der Rechtsprechung entschieden wurde. Genießen die Beteiligten dann nicht einen besonderen Vertrauensschutz?

RA Gahle: Nein, grundsätzlich schützen Unwissenheit und Rechtsirrtümer nicht vor den dargestellten Folgen, insbesondere den wirtschaftlichen (Zustandekommen von Arbeitsverhältnissen und Beitrags(nach)zahlungen zur Sozialversicherung). Allenfalls in Bezug auf die bußgeld- und strafrechtlichen Sanktionen kann sich ein geringer Grad des Verschuldens zu Gunsten des Auftraggebers und dessen Kunden strafmindernd oder bei Delikten, die nur bei Vorsatz geahndet werden, strafausschließend auswirken.

Frage & Antwort: 7

Was macht die Abgrenzung zwischen selbständiger Zusammenarbeit und verdecktem Arbeitsverhältnis für die Beteiligten so schwer?

RA Gahle: Der neue § 611 a BGB enthält nur eine allgemeine Definition, wann ein (verdecktes) Arbeitsverhältnis vorliegt und verlangt darüber hinaus eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls. Es gibt also keine starren Abgrenzungskriterien, an denen sich die Beteiligten orientieren könnten. Dementsprechend vielfältig und unvorhersehbar ist auch die – im Übrigen nicht immer ganz einheitliche – Verwaltungspraxis und Rechtsprechung. All das macht es für die Beteiligten schwierig, wenn nicht gar häufig unmöglich, im Wege der Selbstanalyse die dargestellten Risiken 100%-ig auszuschließen.

Frage & Antwort: 8

Ist es aber nicht so, dass die Beteiligten den Status der Zusammenarbeit behördlich prüfen und bestätigen lassen können?

RA Gahle: Das stimmt theoretisch. Tatsächlich trifft hier aber Realität auf Gesetz. Denn solche Statusfeststellungsverfahren sind meist langwierig und können grundsätzlich erst nach Beginn der Zusammenarbeit eingeleitet werden. Nimmt das Verfahren einen unerwünschten Ausgang, lassen sich insbesondere das Arbeitsverhältnis- und Beitrags(nach)zahlungsrisiko meistens nicht mehr heilen, schon gar nicht rückwirkend. Hinzu kommt, dass das Statusfeststellungsverfahren nur Schutz für das jeweils konkret geprüfte Einzelauftragsverhältnis bietet. Mit anderen Worten: Selbst wenn die Behörde antragsgemäß eine selbständige Kooperation mit einem Auftragnehmer bezogen auf ein Projekt bestätigt, können die Parteien nicht darauf vertrauen, dass die Zusammenarbeit im Rahmen anderer Projekte ebenfalls kein Arbeitsverhältnis darstellt. Für Auftraggeber und deren Kunden bedeutet das im Kern, dass sie jedes Einzelauftragsverhältnis zu jedem Auftragnehmer behördlich prüfen lassen müssen, wollen sie Rechtssicherheit schaffen. Das ist in vielen Konstellationen schlicht weg nicht machbar.

Frage & Antwort: 9

Welche Möglichkeiten gibt es für die Teilnehmer aus der Projekt-Wirtschaft ihre Leistungen legal zu erbringen?

RA Gahle: Wie bereits erläutert besteht eine Möglichkeit darin, die Rechtmäßigkeit der Zusammenarbeit auf selbständiger Grundlage durch ein behördliches Statusfeststellungsverfahren bestätigen zu lassen. Das setzt allerdings voraus, dass auch lupenreine echte Dienst- bzw. Werkvertragskonstellationen vorliegen, was aber in vielen Fällen nicht rechtssicher gestaltbar bzw. vorhersehbar ist. Darüber hinaus können von Beginn an herkömmliche Arbeitsverhältnisse mit den Auftragnehmern, das heißt z. B. Freelancern geschlossen werden. Zur Vermeidung des Risikos einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung wird die Anstellung häufig beim Kunden erfolgen müssen, der dann auch alle mit einem Arbeitsverhältnis typischerweise verbundenen wirtschaftlichen Lasten (z. B. Vergütungs- und Entgeltfortzahlungspflicht, Beschäftigungsrisiko etc.) tragen muss. Schließlich besteht die Möglichkeit, den Gefahren der Scheinselbständigkeit und illegalen Arbeitnehmerüberlassung mit dem Instrument der legalen Arbeitnehmerüberlassung zu begegnen. In vielen Fällen wird dieser Weg der für alle Beteiligten ökonomisch sinnvollste, wenn nicht sogar einzig gangbare sein, um die Zusammenarbeit auf rechtssichere Füße zu stellen.

Frage & Antwort: 10

Bietet das Instrument der Areitnehmerüberlassung eine tragfähige Lösung für das Problem der Scheinselbständigkeit?

RA Gahle: Ja, denn besteht wie bereits geschildert auch nur das geringste Risiko, dass ein Vertragskonstrukt eine verdeckte und damit illegale Arbeitnehmerüberlassung darstellen könnte, lassen sich die damit einhergehenden schwerwiegenden Folgen für Auftraggeber und deren Kunden über den Weg der legalen Arbeitnehmerüberlassung bereits im Ansatz rechtssicher vermeiden. Das ist auch der Grund, warum ich diesen juristisch sauberen Lösungsansatz in der Beratungspraxis bei kritischen Verhältnissen zunehmend empfehle.

Frage & Antwort: 11

Ist ein Umdenken für Freelancer, Auftraggeber und Kunden zwingend erforderlich?

RA Gahle: Es ist doch klar, dass sich alle Marktteilnehmer, ob es ihnen gefällt oder nicht, veränderten Rahmenbedingungen und Spielregeln anpassen müssen. Wer auf ein „weitermachen wie bisher“ und „es wird schon gut gehen“ setzt, geht unnötige (Haftungs-) Risiken ein und gefährdet den wirtschaftlichen Erfolg seiner Unternehmungen. Ohne eine selbstkritische Herangehensweise geht es also schlicht weg nicht. Das gilt insbesondere auch für Freelancer. Die einzig legale Alternative für Auftraggeber und deren Kunden dürfte in vielen Fällen darin bestehen, ausschließlich auf anpassungswillige Freelancer zurückzugreifen.



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Interviewpartner:
Online seit:

Letztes Update: 24.08.2017 (Verweisliste wurde aktualisiert)
Publisher: frisco-freelancer.de

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